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Die Entdeckung in den 70ern

Jahrzehntelange Forschung in Sachen Dioxin-Rezeptor (Arylhydrocarbon-Rezeptor) gewährt uns nicht nur Einblick in die Zusammenhänge zwischen Gefahrstoff-Exposition und schwersten Erkrankungen, sondern erklären auch generationsübergreifende Schäden in unserem Genom.
Da die Anfänge dieser Forschung den meisten Menschen weitestgehend unbekannt sind, möchten wir sie, auch um die Vorkämpfer auf diesem Gebiet zu würdigen, hier etwas beleuchten.

Es ist nicht bekannt, ob sich die beiden Medizinwissenschaftlern, Nebert und Poland Anfang der Siebzigerjahre der Reichweite ihrer Forschungsergebnisse bewusst waren. Unabhängig davon stellt ihre Arbeit die Grundlage für die Antwort auf die Fragen nach der Ursache der meisten Zivilisationskrankheiten dar.

Nebert und Poland befassten sich, einfach ausgedrückt, zu Beginn ihrer Forschungsarbeit mit der Erforschung des Dioxin-Schadstoffstoffwechsel bei genetisch veränderten Mäusestämmen (C57BL/6 und DBA/2N). Hierbei stellten sie fest, dass die Mäusestämme äußerst unterschiedlich auf Dioxinbelastungen reagierten.

Wo die Mitglieder der einen Mäusefamilie wie erwartet an einer Dioxinvergiftung verstarb, zeigte sich bei der genetisch durch Inzucht-Kreuzung veränderten Mäuse-Variante eine weitaus geringere Giftwirkung.
Eine zweite, ebenfalls durch Inzucht-Kreuzung nochmals genetisch veränderte Gruppe von Mäusen zeigte schließlich eine absolute Dioxinresistenz, war also gegen das die giftigste aller Gifte, das Seveso-Dioxin TCDD absolut immun.

Nebert und Kollegen stellten fest, dass sich die Mäusestämme durch eine unterschiedlich starke Produktion eines ganz bestimmten Enzyms (Aryl Hydrocarbon Hydroxylase) unterschieden.
Dem Mausestamm der nahezu keinerlei Probleme mit der Dioxin-Aufnahme hat, ist nicht in der Lage dieses später als „Cytochrom-P450 1A1“ bezeichnete Enzym auszuschütten, beziehungsweise zu bilden.

Es waren (neben anderen) vor allem Poland (und Knutson) die neben der veränderten Enzym-Ausschüttung, ein bestimmtes Protein auf der Zelloberfläche als Kontaktstelle (Rezeptor) für Dioxin und ähnliche Gefahrstoffe identifizierten. Poland war es auch, der diesen Rezeptor im Jahr 1982 erstmals die Bezeichnung Arylhydrocarbon-Rezeptor gab. (Anm. Stoffe, die in der Lage sind an diesem Rezeptor anzubinden, werden als Liganden bezeichnet)

Nach den Veröffentlichungen von Nebert und Poland zum Thema Ah-Rezeptor Anfang der 70 er Jahre erhöhte sich die Anzahl der auf diesem Gebiet tätigen Forscher weltweit um ein Vielfaches.


Die 90er: Generationsübergreifende Genschädigungen nachgewiesen

So stellten zum Beispiel Ema (1994) und Chang (1993) unabhängig voneinander fest, dass die unterschiedliche Bindungsfähigkeit an diesen Rezeptor durch eine Mutation/genetische Veränderung verursacht wird.

Im Klartext: Seit Mitte der Neunzigerjahre steht fest, dass die individuelle unterschiedliche Wirkung / Empfindlichkeit gegenüber Gefahrstoffen keineswegs schicksalshafter Natur ist, sondern stets auf eine vorangegangene genetische Veränderung/Mutation infolge eines Liganden-Kontaktes beruht.

Es ist Dank Forschern wie Ema und Chang also seit Mitte der Neunzigerjahre auch bekannt, dass sich sowohl Cytochrom-P450 (1A1), als auch die Glutathione-S-Transferase-Expression ebenso wie die genetische Ausstattung nach einer entsprechend hohem Gefahrstoff-Exposition / Liganden-Bindung dauerhaft, d.h. generationsübergreifend verändern.

Dass diese krankhaften genetischen Veränderungen festgestellt werden konnten, ist nicht zuletzt der Aufschlüsselung des menschlichen Genoms zu verdanken, infolgedessen es Anfang/Mitte der Neunzigerjahre zu einer verbesserten gerätetechnischen Ausstattung vieler Medizin-wissenschaftlicher Institute und Universitäten gekommen war.

Mit der Zeit ergab sich ein klares Bild dessen, was nach der Bindung des Gefahrstoffes (Dioxin oder Ähnliches) an den Dioxin-Rezeptor im Körper (Organismus) geschieht. Weltweit kamen die Forscher zum gleichen Ergebnis: der Aktivierung des Ah-Rezeptors durch Dioxin folgt eine immer gleiche Reaktionsabfolge, die weltweit als „Ah-Rezeptor Signalweg“ bezeichnet wird.

Man kann es als Tatsache bezeichnen, dass die Erkenntnisse von Nebert und Poland die Erforschung des Arylhydrocarbon-Rezeptors erheblichen Vorschub leisteten. Auf Basis ihrer Arbeit werden alljährlich tausenden Dissertationen verfasst in welcher die Doktoranden die Ursache/Pathogenese frühkindlicher Entwicklungsschäden, Diabetes oder Alzheimer bis ins letzte Detail beschreiben.


Schlüssel für Prävention

Den absoluten Durchbruch jedoch erlebte die Dioxin-Rezeptor-Forschung Anfang diesen Jahrtausends mit der Erkenntnis, dass der Arylhydrocarbon-Rezeptor-Signalweg nicht nur die Ursache, sondern auch den Schlüssel zur Behandlung, beziehungsweise Verhinderung schwerste Erkrankungen liefert.

Es sind die Pharma-Unternehmen, beziehungsweise über Drittmittelförderung (der Pharmaindustrie) die medizinischen Fakultäten, welche seit etwa 10 Jahren auf Basis des AhR-Signalwegs Medikamente gegen so gut wie jede Zivilisationskrankheit, wie Alzheimer, Diabetes, ADS oder Depression, uvm. entwickeln, beziehungsweise, was die Nebenwirkung anbelangt fortentwickeln.

So ist der AhR(-Signalweg), Poland sei Dank, seit einigen wenigen Jahren nicht nur Schloss, sondern auch Schlüssel zur Erkenntnis, zum Beispiel für die Entwicklung einer Nebenwirkung-armer Chemotherapie, oder notwendigen Präventivmaßnahmen, wie z.B. dem Verbot bestimmter Gefahrstoffe in unserem Essen, unserer Wohnung, unseren Autos, am Arbeitsplatz und der Umwelt.we

Anmerkung: Nicht wenige Publizisten/Forscher bezeichnen den Ah-Rezeptor Signalweg als Grundprinzip, als humantoxikologische Prämisse.
Um die tatsächliche Bedeutung des AhR-Signalwegs zu betonen,wurde von den deutschsprachigen Toxikologen (Kaina, Dietrich, Uni-Mainz) in ihrer 2010 veröffentlichten Publikation zum Thema „Ah-R in der Regulation von Zelle zu Zelle-Kontakt und Tumorwachstum“ sogar das vorrangig im Kirchenrecht gebräuchliche Verb „kanonisch“ (den Regeln entsprechend) verwendet.

Dem ist, hinsichtlich der human-toxikologischen Relevanz des Ah-Rezeptor Signalwegs (Nicht nur hinsichtlich der Beurteilung von Tumorwachstumsraten), nichts hinzuzufügen.


Quellen:

Expression of Aryl Hydrocarbon Hydroxylase Induction and Suppression of Tyrosine Aminotransferase Induction in Somatic-Cell Hybrids Proc Natl Acad Sci U S A. 1972 Aug; 69(8): 2179–2183 W. F. Benedict, D. W. Nebert, and E. B. Thompson
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC426895/
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC426895/pdf/pnas00134-0189.pdf

Genetic regulation of aryl hydrocarbon hydroxylase induction in the mouse.
Fed Proc. 1972 Jul-Aug;31(4):1315-25. Nebert DW, Gielen JE.
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/4114109

Ten nucleotide differences, five of which cause amino acid changes, are associated with the Ah receptor locus polymorphism of C57BL/6 and DBA/2 mice
Chang C1, Smith DR, Prasad VS, Sidman CL, Nebert DW, Puga A.
Pharmacogenetics. 1993 Dec;3(6):312-21.
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/8148872

The aryl hydrocarbon receptor (AhR) in the regulation of cell-cell contact and tumor growth.
Carcinogenesis. 2010 Aug;31(8):1319-28. doi: 10.1093/carcin/bgq028. Epub 2010 Jan 27.
Dietrich C1, Kaina B.
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/20106901