Vorwort
In früheren Zeiten waren Toxikologen, wenn sie wissen wollten ob ein Gefahrstoff dazu geeignet ist einen bestimmten Gesundheitsschaden hervorzurufen, dazu gezwungen in so genannten „toxikologischen Profilen“ nachzulesen, ob dieser Gesundheitsschaden dort als typische Folge einer Vergiftung durch diesen Gefahrstoff aufgelistet ist.
Lange war unbekannt, ob, und wenn ja in welcher Weise die in diesen toxikologischen Profilen gesammelten, hinsichtlich ihrer Wirkungsortes höchst unterschiedlichen Gesundheitsstörungen bzw. Gesundheitsschäden zueinander in einen inneren kausalen Zusammenhang stehen.
Toxikologen konnten sich niemals im ausreichenden Maße sicher sein, ob ein konkreter Gesundheitsschaden tatsächlich auf eine bestimmte Gefahrstoff-Exposition zurückzuführen war.
Das änderte sich mit der Entdeckung des Arylhydrocarbon-Rezeptors durch Poland (und andere) 1972 und den bis zum heutigen Tage stetig anwachsenden Erkenntnissen. Die Rezeptor-Toxikologie etablierte sich über die Jahrzehnte als eigenständiges human-toxikologisches Fachgebiet.
Einfach ausgedrückt handelt es sich bei dem Signalweg des Ah-Rezeptors um einen Domino-Effekt der, nachdem an dem Rezeptor ein passender Gefahrstoff wie zum Beispiel Dioxin oder der Weichmacher Bisphenol-A angedockt hat, grundsätzlich die immer gleichen Reaktionen hervorruft.
Eine dieser immer gleichen Reaktionen besteht darin, dass in der Zelle eine bestimmte Gensequenz umgeschrieben wird, woraufhin es zu einer erhöhten Produktion eines bestimmten Enzyms (CYP450) kommt.
Je giftiger ein Gefahrstoff, desto höher die CYP450 Enzym-Aktivität. Dieses Grundprinzip findet weltweit Anwendung bei der Untersuchung mutmaßlich dioxinverseuchter Lebensmitteln oder Gebrauchsgütern. Diesem Grundprinzip folgend entwickelt sich bei entsprechend starker Aktivierung des Ah-Rezeptors die immer gleichen neurologischen und kardiologische Gesundheitsstörungen.
Ebenso verhält es sich im Bezug auf laborärztlich feststellbare Veränderungen im Bereich des Immun,- sowie Entgiftungssystems, (Glutathion-S-Transferase), sowie krankhafte Organveränderungen, primäre Zielorgane; Herz, Leber, Gehirn und Lunge
Obwohl jede einzelne dieser Diagnosen in den international anerkannten toxikologischen Profilen dieser Gefahrstoff-Gruppen (polyzyklischen / aromatischen halogenierte Kohlenwasserstoffen) als typische Schadensfolge aufgelistet ist, wurde in der Vergangenheit der kausale Zusammenhang zwischen Exposition und Gesundheitsschaden von interessierter Seite in Frage, bzw. Abrede gestellt.
Diesem Treiben kann durch die mit der Entdeckung des Arylhydrocarbon-Rezeptor-Signalwegs verbundenen Erkenntnisse ein Ende gesetzt werden.
Auf Basis dieses Grundprinzips AhR-Signalweg konnten die kausalen Zusammenhänge zwischen Ursache (Gefahrstoff) und Wirkung (Gesundheitsschaden) zweifelsfrei, bis ins letzte Detail aufgeschlüsselt werden.
Nachfolgend werden wir versuchen, den zum Teil doch recht komplizierten AhR-Signalweg möglichst allgemein verständlich, in Etappen aufgeteilt, darzustellen.
1. Etappe: Kontakt
Der so genannte Arylhydrocarbon-Rezeptor-Signalweg als Grundprinzip im Verständnis des kausalen Zusammenhang zwischen Gefahrstoff und Gesundheitschaden. Der Arylhydrocarbon-Rezeptor ist laut Wikipedia ein Eiweiß (Protein) das in der Zellhülle (Cytosol) und im Zellkern von Wirbeltier-Zellen zu finden ist, welches an der Steuerung/Programmierung der Gen-Aktivität als „Transkriptionsfaktor“ beteiligt sei.
Einfach ausgedrückt ist ein Transkriptionsfaktor dazu da ,die Funktion von Gene zu verändern, bzw. deren Programme umzuschreiben.
Schon Anfang des 20. Jahrhunderts wusste man, dass bestimmte Chemikalien, Schwermetalle sowie radioaktiver Strahlung dazu geeignet sind Gen-Schäden hervorzurufen. Nun weiß man wie.
Nachdem der Arylhydrocarbon-Rezeptor(AhR)durch einen entsprechenden Liganden (Chemikalie oder Schwermetall) aktiviert wurde, wandert er im Verbund mit dem Giftstoff von der Zelloberfläche in den Zellkern. Ein weiteres Protein, der „Aryl hydrocarbon receptor nuclear translocator” (ARNT (https://en.wikipedia.org/wiki/Aryl_hydrocarbon_receptor_nuclear_translocator) ) sorgt dafür, dass sich der AhR sich mit dem Liganden verbinden kann.
Dieses Dreiergespann aus Ligand (Dioxin), Ah-R und ARNT befördert auf seinem Weg dorthin, ohne sich fest an ihn zu binden, ein drittes Protein, namens Heatshock-Protein 90 (HSP90) in den Zellkern.
Im Zellkern angekommen, trennt sich das Trio vom HSP90, und begibt sich zu einer ganz bestimmte Stelle auf der Doppelhelix unseres Genoms, namens Dioxin Response Element (DRE).
Hinweis: von manchen Autoren wird das DRE wird auch als „xenobiotic responsive element“ (XRE) bezeichnet.
Am DRE bzw. XRE angekommen dockt das AhR/ARNT/Liganden-Trio an das Dioxin-Response-Element an und verursacht hierdurch, eine der Potenz des Gefahrstoffes/Liganden entsprechend starke genetische Programm-Änderung. Die genetische Programmänderung ist Teil unseres Entgiftungssystems;
Zum einen wird durch eine massive Aktivierung des Ah-Rezeptors sowohl die genetische Ausstattung im Bereich der Glutathion S-Transferase (GST) als auch deren Enzym-Aktivität negativ verändert, das heißt bei einer entsprechend starken (Dioxin-) Exposition dauerhaft herab-reguliert.
Zum anderen führt eine massive Erhöhung der Enzymaktivität im Bereich des Cytochrom-P450 zu einer ebenso massiven Produktion freier Sauerstoffradikaler (reactiv oxygen species – ROS). Ebenso verhält es sich mit dem zusammen mit dem AhR/ARNT/Liganden-Trio von der Zellhülle in den Zellkern gewanderte Heatshock-Protein 90. Auch dieses Protein führt in erster Linie zur Ausschüttung freier Sauerstoffradikaler. Freie Sauerstoffradikale sind in höchstem Maße reaktionsfreudig.
Dies macht sich der Organismus zu Nutze, indem er Gefahrstoffe, die wie polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, bzw. halogenierte Kohlenwasserstoffe, die wie der Name schon sagt, aus langkettigen Kohlenwasserstoffverbindungen bestehen, freie Sauerstoffradikale entgegenstellt.
Durch den Kontakt zu freien Sauerstoffradikalen werden diese langkettigen Verbindungen aufgebrochen, das heißt in kürzere, weit weniger giftige Verbindungen zerlegt und können nun vom (menschlichen) Organismus metabolisiert, das heißt über die Leber verstoffwechselt und die Niere oder den Stuhl ausgeschieden werden können.
Die Sache hat nur zwei Haken;
- Erstens; leider sind die freie Sauerstoffradikale nicht dazu in der Lage Pentachlordibenzodioxin (PeCDD) oder Seveso-Dioxin TCDD aufzubrechen.
- Zweitens verursacht die chronische Erhöhung des Cytochrom-P450 und die Anwesenheit des Heatshock-Protein 90 eine dauerhafte Erhöhung der freien Sauerstoffradikalen, welche in der Folge zu weiteren genetische Veränderungen, dass heißt schwerwiegenden Gesundheitsschäden, insbesondere im Bereich des Immunsystems (Autoimmunerkrankungen) sowie der Krebs-Pathogenese führt.
2. Etappe: Immunsystem
Die Erforschung des Ah-R Signalwegs erklärt die Wechselwirkungen zwischen Aktivierung des Arylhydrocarbon-Rezeptor und dem menschlichen Immunsystem.
Die durch die Aktivierung des Dioxin-Rezeptors im Bereich des Immunsystems ausgelöste Ereigniskaskade reicht, gefahrstoff-abhängig, von der Sofortreaktion des Immunsystems (Hautreaktion) über die als Zivilisationskrankheiten bezeichneten Auto-Immunerkrankungen, bis hin zu Organversagen (z.B. Herz, Leber) oder tödlich verlaufender Krebserkrankung.
Ein behandelnder (Fach-) Arzt veranlasst, zum Beispiel bei einem Diabetes-Verdacht, ausschließlich die für die Diagnoseerhebung selbst erforderlichen Laboruntersuchungen. Im Gegensatz dazu war/ist für die Erforschung der Pathogenese (Krankheits-Entstehung, Entwicklung) einer Autoimmunerkrankung die Ermittlung aller labortechnisch erfassbaren Veränderungen erforderlich.
Dies schließt, neben dem Immunsystem, weitere Parameter, wie zum Beispiel das Hormon- und Entgiftungssystem, sowie Stoffwechselstörungen, aber auch die Interaktion mit anderen Rezeptoren ein. (Dazu später an anderer Stelle mehr) Stellt man die für eine diabetes-typische, das heißt im höchsten Maße spezifische Immunsystem-Entgleisung von Honkanen et al im Journal für Immunologie 2010 beschriebenen Veränderungen denen vom Autor Bellemore und Kollegen im Journal für klinischer experimenteller Immunologie 2015 veröffentlichte Publikation gegenüber, so stellt man unschwer fest, dass sich die von den Autorengruppen beschriebenen Laborwert-Veränderungen im höchsten Maße gleichen:
Hokanen et al,IL-17 immunity in human type 1 diabetes
JImmunol. 2010 Aug 1;185(3):1959-67
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/20592279 | pdf
Bellemore et al Preventative role of interleukin-17 producing regulatory T helper type 17 (Treg 17) cells in type 1 diabetes in non-obese diabetic mice.
Clin Exp Immunol. 2015 Dec;182(3):261-9. doi: 10.1111/cei.12691. Epub 2015 Sep 22.
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/26250153 | pdf
weitere Leseempfehlungen zum Thema:
AZIZI G. Th22 cells in autoimmunity: a review of current knowledge
http://www.eurannallergyimm.com/cont/journals-articles/374/volume-th-cells-autoimmunity-review-current-991allasp1.pdf
ABU-REZQA H.A. Arylhydrocarbon-Receptor Ligand stimulate auto-reactive TC1/TC17 T-Cell
Activation and enhance self antigen-induced Diabetes
Int. Journal of Immunolgy Research, Vol. 3 Issue 1 2013, pp. 29-39
https://www.bioinfopublication.org/files/articles/3_1_4_IJIR.pdf
Benson, Jenna Marie Consequences of Aryl Hydrocarbon Receptor Activation in Crohn's Disease
http://scholarworks.umt.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1253&context=etd
Immunsystem im Detail
Im Anschluss an die Aktivierung des Ah-Rezeptors kommt es im Rückenmark, proportional zur Toxizität des auslösenden Gefahrstoffes, zur entsprechend hohen Produktion/Ausschüttung nativer (nicht-programmierter) T-Zellen (Treqzellen), die als erste Reaktion am Produktionsort (Rückenmark im Bereich der Lendenwirbelsäule) einen schmerzhaften inflammatorischen (entzündlichen) Prozess verursachen.
Im Anschluss an die Ausschüttung nativer T-Zellen kommt es zu einer Humoralen-Immun-Reaktion, welche sich nur durch eine massive Erhöhung der Makrophagen, und einer Herabsetzung der Helferzellen-Anzahl (CD4) und in einer Erhöhung der Killerzellen (CD8), sondern auch in einer Erhöhung der Interleukin-Produktionswerte (Il17,IL21,IL22) darstellt.
Als nächste Stufe, der einer AhR-Aktivierung nachfolgenden Immunsystem-Ereigniskaskade, werden B-Zellrezeptoren angesprochen. Dies führt zu einer stoffspezifischen Erhöhung, beziehungsweise Erniedrigung, der entsprechenden Immunglobuline. (B-Zellen sind Antikörper, (Proteine) die von B- Lymphozyten produziert und gegen bestimmte Antigen-Bestandteile gerichtet sind)
Hinweis: Das Seveo-Dioxin TCDD reguliert die Immunglobulin-M Sekretion in aktivierten B-Zell-Linien (CH12.LX) nach unten, wohingegen diese Dioxinwirkung bei mit Lipopolysacchariden, einer in der Natur weit verbreitetem Molekülgruppe (Fett und Zucker), vorbehandelnden B-Zell Linie ausbleibt. ( siehe: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/9547351)
Dass der Arylhydrocarbon-Rezeptor (im Vergiftungsfalle) absolut notwendig für die optimale B-Zell-Proliferation ist, wurde erst kürzlich festgestellt. Der Ah-Rezeptor interagiert direkt mit den B- Zellrezeptoren und wirkt (im Optimalfall) regulierend auf diese ein. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/9547351 | pdf
In seinem im Oktober 2013 in der der Pharmacological Review veröffentlichten Artikel, „Aryl Hydrocarbon Receptor Control of Adaptive Immunity“ stellt der Autor Franzisco J. Quintana, die weit reichenden Verbindungen des Arylhydrocarbon-Rezeptor-Signalwegs, inklusive dessen Interaktionen mit anderen Rezeptoren, mit der Präzision eines Standardwerks dar.
Seinem Resümee sollte gefolgt werden:
»In conclusion, the AhR controls important immune processes in response to endogenous and environmental cues. Consequently, the AhR and its signaling pathway offer plausible molecular mechanisms through which environmental and endogenous ligands may control immunity and autoimmunity while providing us with new opportunities for targeted, therapeutic modulation of the immune response.«
Aryl Hydrocarbon Receptor Control of Adaptive Immunity
Francisco J. Quintana and David H. Sherr
Pharmacol Rev 65:1148–1161, October 2013
http://pharmrev.aspetjournals.org/content/pharmrev/65/4/1148.full.pdf
Grafik aus The Role of AhR in Autoimmune Regulation Int J Mol Sci 2014 15 10116-10135
Veröffentlicht in "International Journal of Molecular Sciences — Open Access Journal"
3. Etappe: Leberfunktionsstörung
Die Leber weist, als unser wichtigstes Entgiftungsorgan, neben der Plazenta und dem Gehirn, eine der höchsten Dichten in von Arylhydrocarbon-Rezeptoren auf.
Sobald diese Rezeptoren von Dioxinen oder dioxinähnlichen Substanzen, wie zum Beispiel Benzo-a-pyren, Bisphenol A, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe oder dem dioxinhaltigen Epichlorhydrin aktiviert werden und der Ah-Rezeptor, zusammen mit diesen Giftstoffen gemeinsam in die Leberzelle wandert, kommt es in allen Bereichen der Leberfunktionen zu Veränderungen.
Das Maß dieser Rezeptor-vermittelten Veränderungen erstreckt sich, entsprechend der Stärke der Rezeptoraktivierung, von leichter Funktionsstörung, bis hin zur Leberzirrhose und Leberversagen.
Es ist darauf hinzuweisen, dass diese Veränderungen/Funktionsstörungen alle Aufgabenbereiche der Leber betreffen. Neben der Entgiftungsstörung (Aminosäuren, Zucker, Fette, Bilirubin, Gallensäure) entwickelt sich, entsprechend zur Potenz des Toxins (Dioxin/dioxinähnliche Substanz) eine Herabsetzung der Syntheseleistung (Eiweiß, Aminosäuren, Gerinnung Faktoren, Chelesterol/Vitamin D3 Produktion).
Der Energiehaushalt wird ,aufgrund der Ah-Rezeptor vermittelten Leber-Funktionstörung, in erheblichem Maße beeinflusst. Dies schließt Glukose (Kohlenhydrate) Eiweißverwertung, Fettverbrennung sowie die Speicherung von Vitaminen und Hormonen ein.
Infolge der durch die Ah-Rezeptor Aktivierung hervorgerufene Leberfunktionsstörung wird auch das blutbildende System, bzw. die Blutgerinnung sowie der Sauerstofftransport (Eisen) in erheblichem Maße gestört, welche die Möglichkeit der Entwicklung einer Porphyrie einschließt.
Es ist festzustellen, dass die Aktivierung des Ah-Rezeptors in Leberzellen jedwede Leberfunktion tangiert. Da die Aktivierung des Ah-Rezeptors auf Leberzellen durch entsprechend starke Liganden (Dioxine, Furane, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, Bisphenol A, Benzo-a-pyren uvm) zu einer zum Teil absoluten Störung der Zell-Apoptose führt, kann sich die Leber nicht mehr regenerieren und es kommt zur Leberfibrose bzw. Leberzirrhose.
Diese (letale) Entwicklung kann durch rechtzeitige Gabe verschiedener Aminosäuren, Vitamine (Vitamin D) und hochwirksamer Antioxidation (Resveratrol), zumindest verzögert entgegen gehalten werden.
Hierzu muss der behandelnde Arzt jedoch über die inneren Zusammenhänge – Aktivierung des AhR / Erhöhung der Enzymexpression CYP450 / freie Sauerstoffradikale (ROS) / Leberfunktionsstörung informiert sein.
The Aryl Hydrocarbon Receptor: A Key Bridging Molecule of External and Internal Chemical Signals
Environ Sci Technol. 2015 Aug 18; 49(16): 9518–9531.
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4696777/pdf/nihms745759.pdf
Human drug metabolising cytochrome P450 enzymes: properties and polymorphisms
Naunyn-Schmiedeberg's Archives of Pharmacology January 2004, Volume 369, Issue 1, pp 89–104
https://link.springer.com/article/10.1007/s00210-003-0819-z